LitTipps


Ein Book-Review der etwas anderen Art


Ticker

+++ Das lese ich gerade:

1992: Die Champions League wird gegründet, in England entsteht mit der Premier League die erfolgreichste Fußballliga weltweit, in Deutschland wechseln die Übertragungsrechte von der biederen Sportschau zu „ran“ - und hier wandelt sich der Fußball zum Entertainment. Neue Zielgruppen sollen damit erschlossen werden. Davor gab es aber keinesfalls die „gute alte Zeit“, vorher war der Fußball in der Krise, die Stadien leer und marode, Gewalt herrschte in den Rängen.

In den 90ern ist der Fußball war zur Ware geworden, die Vereine handelbar. Das große Geld zog ein, Spitzenspieler waren nun viel wert. Kein Wunder, dass das Foul von hinten nun mit einer roten Karte bestraft wurde, denn eine schwere Verletzung bedeutete Kapitalvernichtung. Im Fußball spiegelte sich Globalisierung und Neoliberalismus, steinreiche Oligarchen stiegen ein, Ölländer investierten in Fußball und Berlusconi kaufte den AC Mailand. Vieles ist besser geworden: "In neuen Stadien spielen Super-Teams mit Super-Spielern unter der Anleitung visionärer Super-Trainer für ein global wachsendes Publikum." Der Preis dafür ist aber, dass der Sport durch wenige Klubs monopolisiert wie nie zuvor in der Geschichte.

Christoph Biermann legt mit "Um jeden Preis" (Kiepenheuer & Witsch) eine glänzend geschriebene Geschichte des postmodernen Fußballs vor, Chapeau! +++

Die LitTipps wollen nicht nur über die neueste religionspädagogische Literatur informieren, vielmehr wollen die LitTipps die Lehrkräfte im Fach Religion, die Lust am Lesen haben, von ganz verschiedenen Seiten her inspirieren: Von der Fachliteratur bis zum Krimi, vom Hörbuch bis zum Computerspiel - einfach ohne Begrenzungen und gnadenlos subjektiv, auch nicht dem Götzen der Aktualität verpflichtet.

LitTipps ist ein Service von Dr. Volker Dettmar, Schulpfarrer i.R. der EKHN, Journalist und Autor, Vater dreier Kinder. Seine Leidenschaften: Computer, Kochen, Fotografieren, notorische Neugier, Himmel über dem Kopf und natürlich Lesen. Die LitTipps gibt es als eine ständige Rubrik in den RPI-Impulsen. Die Online-Version bietet gegenüber der Printausgabe den ein oder anderen Hinweis oder Link.

Archiv


Hier finden Sie LitTipps aus früheren Ausgaben der RPI-Impulse.

Aktuelle LitTipps


Karl Ove Knausgard
Der Morgenstern

 


Luchterhand

An die Motorhaube gelehnt beobachtet er den Himmel. Ein neuer Stern ist aufgetaucht, schon immer ein Zeichen für große Ereignisse.

Dieser Stern ist es auch, der die neun Figuren verbindet, deren Geschichten abwechselnd erzählt werden: Arne, der Literaturprofessor lebt hier mit seiner psychotischen Frau, die eine Katze köpft, Katherine ist Pastorin, die an ihrer Ehe und ihrem Gott zweifelt, der Journalist Jostein wittert nach den Morden an einer Metal-Band die Chance, als Sensationsreporter berühmt zu werden, Josteins Frau Turid arbeitet in der Psychiatrie – das sind einige der Figuren. Immer geht es um Eltern und Kinder, die alleingelassen oder nicht verstanden wurden und so – notwendig – ihre Eltern überfordern. Knausgård weiß die Tiefen der Existenz, aber auch um die Oberflächen des Alltags zu beschreiben.

Dabei spürt man, dass die Natur aus den Fugen geraten ist: Ein Dachs im Wohnzimmer, tausende Krebse auf der Straße, ein zahmer Hirsch, Fische vermehren sich im Fjord - der Stern verkündet nichts Gutes. Nichts ist mehr so, wie es war und das ist noch lange nicht das Ende. Es tauchen keine erschreckenden Fratzen auf, die ein oberflächliches Gruseln hervorrufen, sondern da ist ein leises, bedrohliches Wummern im Keller, das vom Ende der Gewissheit kündet.

Und Knausgårds Roman ist ein Wunder – ich weiß nicht, wie er es gemacht hat, dass ich mich über 900 Seiten nicht gelangweilt habe.

nach oben


Hartmut Rosa
Demokratie braucht Religion

 


Kösel

Ausgerechnet ein Soziologe greift dieses Thema auf. Dabei geht Rosa vom Begriff der Resonanz aus: der Erfahrung des unverfügbaren Berührtwerdens von etwas anderem oder jemand anderem. Es ist ein Hören und Antworten, das mich verändert, wie man es im Gebet erfahren kann, aber auch in der Natur und der Musik. Es ist ein Auf-Hören und sich transformieren lassen.

Und genau daran mangelt es der spätmodernen Gesellschaft, die auf Verfügbarkeit und Kontrolle setzt: Die Gesellschaft ist dabei, ihre Anrufbarkeit zu verlieren. Rosa beschreibt sie mit dem Begriff des rasenden Stillstands: sie muss permanent beschleunigen und wachsen - nicht um voranzukommen, sondern um nicht zurückzufallen. Wachstum, damit man auf der Stelle treten kann.

Der Soziologe greift die biblische Rede vom „hörenden Herzen“ auf und setzt dies dem Verfügbarkeitsdogma der Spätmoderne entgegen. Wir befinden uns in einem Aggressionsverhältnis zur Natur, zu anderen Menschen und letztlich zu uns selbst. Selbst in einem egoistischen Sinne nutzt es uns nichts: wir sind permanent unzufrieden und wollen uns selbst optimieren.

An dieser Stelle beginnt die Religion wichtig zu werden: Eine Grundhaltung des religiösen Menschen ist es, sich anrufen zu lassen von einer Wirklichkeit jenseits der Wirklichkeit, der Transzendenz. Das ist die Erfahrung der Resonanz. Es gibt uns die Chance der Transformation: Wir können ein anderer werden und uns verwandeln lassen. Worte wie Gebet, Gnade, Ehrfurcht oder das Heilige umschreiben das.

Aber Vorsicht: Nicht überall, wo Religion draufsteht, ist auch Resonanz drin. Auch Kirchen und Religionsgemeinschaften können dogmatisch erstarren und das ist noch nicht einmal selten. Aber Hartmut Rosa ist davon überzeugt, dass die Demokratie das Auf-Hören und das sich Anrufen-lassen der Religion bitter nötig hat.

nach oben


Jessica Durchlacher
Die Stimme

 


Diogenes

Um was geht es eigentlich in diesem Buch? Geht es um den gewaltbereiten Teil des Islam, der Abtrünnige verfolgt? Geht es um Frauenrechte und -bild dieser Religion? Vielleicht aber auch um das Jüdischsein in der Welt nach dem 11. September oder um die Dynamik einer Familie mit sehr eigenen Kindern? Spielt der Kampf für Gerechtigkeit und um Freiheit die größte Rolle oder geht es um die Schicksalhaftigkeit des Lebens, in dem die zu tragenden Lasten nicht gleich verteilt sind?

Zelda und Bor heiraten in New York, lange nach der Geburt ihrer Kinder. Während der jüdischen Zeremonie auf dem Dach eines Hauses sehen sie, wie die Flugzeuge in die Twin Towers fliegen und müssen mit ihren Kindern fliehen. Wieder zu Hause in den Niederlanden tritt die aus Somalia geflohene Amal in ihr Leben. Ihre überwältigende Schönheit ist trotz der Verschleierung zu erkennen und nur noch von ihrer Stimme übertroffen, die sie entdecken, als sie mit dem musikalisch hochbegabten Sohn musiziert. Amal tritt im Fernsehen beim Wettbewerb „Die Stimme“ auf und entledigt sich während des Auftritts ihres Schleiers – als Zeichen der Selbstbefreiung. Wegen dieses Aktes wird sie von vielen Seiten bedroht. Das Haus von Zelda und Bor wird zur Festung.

Bor hat einen islamkritischen Aufsatz geschrieben und avanciert zum Talkshow-Spezialisten. Er begleitet die Selbstbefreiung von Amal und organisiert die Personenschützer. Philip, Zeldas halbwüchsiger Sohn aus erster Ehe, ist auf einer anderen Lebensspur: Sein Rivale um seine Freundin wandelt sich zum besonders frommen Moslem. Ist er eine Bedrohung für Amal?

Sicher ist: Es ist ein atemberaubendes Buch voller sprachlicher Schönheit.

nach oben


Sonja Koppitz
Spinnst du?

Warum psychische Erkrankungen ganz normal sind


rowohlt polaris

In der Gesellschaft der Selbstoptimierung ist es nicht gerade angesagt, genau hinzusehen, wenn es um psychische Erkrankungen geht. Die vermeintlich guten Ratschläge reichen von „Das geht wieder vorbei!“ bis „Reiß dich doch mal zusammen!“ Sonja Koppitz, selbst an einer wiederkehrenden Depression erkrankt, möchte das ändern. Die Journalistin produziert einen Podcast gleichen Namens beim rbb und hat nun dieses Buch darüber veröffentlicht.

ADHS, Angst-, Ess- oder Zwangsstörungen, Autismus, Burnout, Borderline oder Schizophrenie, ganz zu schweigen von der Volkskrankheit Depression – über all das liefert sie einen Überblick, zeigt Lösungswege auf und verweist darüber hinaus auf Möglichkeiten für Angehörige, psychisch Kranken zu begegnen.

Von der ersten Seite an zieht das Buch einen in Bann. Man spürt, dass sie das alles nicht nur versteht wie ein Wissenschaftler sein Fachgebiet versteht, sondern vieles er- und durchlebt hat. Dabei ist ihre Sprache ohne falsches Pathos, gleichzeitig aber humordurchwoben - drinnen und doch von draußen.

Über psychische Erkrankungen zu schreiben, geht ihr leicht von der Hand, es liest sich leicht, ohne zu verharmlosen. Sie ist einerseits Betroffene, andererseits Journalistin mit dem Auftrag zur Distanz – und damit verstößt sie fröhlich gegen journalistische Grundgesetze. Man bekommt nicht nur eine Ahnung, wie man eine Erkrankung der Seele beschreiben kann, sondern mehr noch, wie es sich vielleicht anfühlen könnte. Gerade wenn man Menschen mit dieser Bürde im Kreis der Freunde und Freundinnen hat, bekommt man das Gefühl, diese endlich ein wenig von innen zu verstehen.

Eine ähnliche Einschätzung, aber länger findet man auf der Sachbuch-Couch.

nach oben


Charles Pépin
Kleine Philosophie der Begegnung

 


Hanser

 

Wir sehen unsäglich viele Menschen, wir haben Termine, Treffen, Meetings, Verabredungen, Calls und Konferenzen. Und wir begegnen Menschen! Dies ist aber etwas ganz anderes, meint der französische Philosoph Charles Pépin.

Im Wort Begegnung steckt das Wörtchen gegen: Wir stoßen auf jemanden, eine Kollision mit der Andersheit. Jemand bringt uns aus der gewohnten und erwarteten Bahn. Es klingt banal, ist aber eine sehr schlichte Wahrheit und Erfahrung: In der Begegnung verändern wir uns, mehr noch wir begegnen uns selbst. Pépin geht der Frage nach, was freundschaftliche, romantische, professionelle und zufällige Begegnungen für den Einzelnen bedeuten.

Besonders augenfällig wird es, wenn er über die Begegnung mit Freunden spricht: Hier greift er auf Aristoteles zurück: Die Begegnung mit einem Freund macht mich zu einem besseren Menschen, durch die Begegnung tritt etwas aus mir zu Tage, das mich voranbringt. In der Begegnung begegne ich mir selbst.

Pépin erzählt in kleinen Kapiteln, die so rund und abgeschlossen sind, dass ich das Buch ruhig zur Seite legen kann, um den Gedanken nachzugehen. Er erzählt von Menschen, die sich begegnet sind und sich verändert haben: Picasso, dessen Freundschaft zu einem Dichter die Menschen mit anderen Augen erblicken ließ, von Voltaire, dessen Lieben zu einer gänzlich unterschiedlichen Frau, ein Leben veränderte. Er erzählt aber auch von den Begegnungen mit Büchern, von Philosophen und Musikern.

Am Ende fragt man sich, welche Begegnungen den eigenen Weg bestimmt und verändert haben, ruft innere Szenen wach, Schnittstellen und Weichenstellungen. Die „Kleine Philosophie der Begegnung“ ist ein sehr berührendes Buch.

Allerdings fragt sich die TAZ u.a., ob dieses Buch noch hinreichend ist in einer Zeit der digitalen Begegnungen.

nach oben


Elisabeth Kolbert
Wir Klimawandler

 


Suhrkamp

 

Aus dem biblischen Auftrag, sich die Erde untertan zu machen, ist düstere Realität geworden. Der Mensch unternimmt unglaubliche Anstrengungen, flickt und repariert an tausenden Stellen, um zu heilen, was er selbst zerstört hat: Genetische Veränderungen der Korallen, um die Riffe zu retten, Flussbegradigungen zur Landgewinnung, die aber den gegenteiligen Erfolg haben, da Überschwemmungen alles wegreißen, Ansiedlungen von fremden Arten wie den Silberkarpfen im Chicago River, deren man nicht wieder Herr wird – all das beschreibt die Journalistin mit sprachlicher Präzision und Sachverstand.

Wir haben gegenwärtig eine komplizierte Naturbeziehung. „Es geht weniger um die Beherrschung der Natur als um die Kontrolle der Naturbeherrschung.“ Wir müssen die Folgen unserer Eingriffe im Zaum halten - eher Verwicklungen als Entwicklungen, wie ein Mensch im Moor: Je mehr er strampelt, desto tiefer sinkt er ein.

Konsequent das Schlusskapitel: Hier besucht sie Projekte, die die Treibhausgase wieder aus der Atmosphäre entfernen und z.B. im isländischen Vulkangestein verpressen. Aber auch hier zeigt sich der Pessimismus der Reporterin, mit dem sie hoffentlich nicht recht hat. Es ist offensichtlich leichter, ein Ökosystem zu ruinieren als zu betreiben. Die Natur, so ihre düstere Prognose, wird in ihrer Existenz immer mehr vom Menschen abhängen. Ein „Zurück zur Natur“ gibt es nicht. Beeindruckende Reportagen einer Pulitzer-Preisträgerin.

Das Buch fand viel Interesse im Blätterwald, Besprechungen z.B. von FAZ und Süddeutscher finden sich bei den Rezensionen von buecher.de.

nach oben


Marc Levy
Jeder Anfang mit dir

 


Blanvalet

 

Die Liebesgeschichte, die den Rahmen des Buches bildet, ist lebendig und sprudelnd, war aber nicht der Grund, warum ich mich für dieses Buch interessierte.

Josh und Luke, zwei junge Neuro-Wissenschaftler, haben ein seltsames Stipendium bekommen. Zusammen und in Konkurrenz zu anderen arbeiten sie an einer Schnittstelle zum menschlichen Hirn. Die Grundfrage:  Kann ich die Daten oder Signale des menschlichen Gehirns irgendwie aus dem Körper herausholen? Die beiden haben einen Weg entdeckt, wie Neuronen aus dem Gehirn auf Siliziumchips neue neuronale Netzwerke gebildet haben.

Ach ja, die Liebesgeschichte: Josh verliebt sich in Hope, ebenfalls eine Studentin - ihre Geschichte nimmt Fahrt auf und bald sind sie unzertrennlich.

Und keine Liebesgeschichte ohne Drama: Hope erkrankt an einem Gehirntumor und ihr bleiben nur noch wenige Monate zu leben. Nun setzt Josh alles daran, Hopes Gedächtnis zu konservieren und einen Klon davon zu erstellen. Und dann soll dieses Gedächtnis auf einen gesunden Körper transferiert werden. Die perfekte Empfängerin ist die Tänzerin Melly, die seit einem Unfall im künstlichen Koma liegt. Wird aus der einst narzisstischen Nelly nun die warmherzige Hope?

Die Forschungen aus dem Roman sind keine Science-Fiction, ganz real wird daran geforscht. Der Autor stellt hier die Frage nach dem Wesen des Menschen. Besteht seine Persönlichkeit aus der Summe seiner Gehirnströme und Neuronen-Verbindungen? Was passiert, wenn man den Geist von seinem Körper trennt? Können – und dürfen! - wir die Summe der Gedanken und Gefühle eines Menschen auf eine Festplatte kopieren? Das sind ethische Fragen, deren Beantwortung wir nicht allzu lange Zeit aufschieben dürfen.

nach oben


Hervé Le Tellier
Die Anomalie

 


rowohlt

 

Ein Flugzeug gerät auf dem Flug von Paris nach New York in einen gefährlichen Gewittersturm und landet auf dem JFK-Airport. Danach werden die Geschichten einiger Überlebender erzählt.

Das ist die junge schwarze Juristin Joanna, die einen CEO vertritt und zu einem Geheimtreffen der Pharma-Granden eingeladen wird. Oder der aufbrausende Afghanistan-Veteran Clark, der die Unke seiner Tochter retten muss und dessen Frau gerade entdeckt hat, dass er sie mit geklauten Gedichten erobert hat. Und der homosexuelle nigerianische Rapper Slimboy, der direkt nach dem fatalen Flug seinen Erfolgssong schreibt. Mit an Bord ist auch der ältere Architekt, der nicht verwinden kann, dass eine kluge, schöne und junge Frau ihm den Laufpass gegeben hat. Oder Blake, der Auftragskiller. Ach ja, und Victor Miesel, ein talentierter, aber erfolgloser kafkaesker Autor, der nach dem fatalen Flug das Buch „Die Anomalie“ schreibt und von der Welt enttäuscht vom Hochhaus springt. Hätte er eine Weile gewartet, hätte er seinen Erfolg doch noch erlebt. Das alles ist grandios erzählt: Vorhang auf, Blick in ein Leben, Cliffhanger, Vorhang zu, nächster Akt. Das allein presst einen schon in den Lesesessel.

Dann aber kommt es zu einer Situation, in der das Protokoll 42 – nicht vorhersehbarer Zwischenfall – greift. Wem diese Zahl etwas sagt, war in den 80ern per Anhalter unterwegs in der Galaxis. Die US-amerikanischen Behörden sind beunruhigt. Denn das Flugzeug landet drei Monate danach noch einmal auf dem JFK, an Bord die identischen Personen. Ist das eine Anomalie in der Matrix dieser Welt, die vorgibt, Realität zu sein?

Die Protagonisten treffen nun auf ihren Klon. Die Version 2.0 unterscheidet sich allein durch drei Monate weniger Lebenserfahrung. Der Auftragskiller löst das Problem mittels der Kernkompetenz seines Berufs. Koexistenz, Konkurrenz, Krieg? Wie werden die Charaktere die Situation lösen. Der Schriftsteller Victor Miesel antwortet auf die Frage, was denn nun anders werde durch die Duplizierung, mit einem schlichten „Nichts!“ Aber er hat gut reden, sein Alter Ego bereichert bereits die Ewigkeit.

Wissenschaftliche Spekulation, Zeitsatire, Thriller, mathematisch-philosophisches Experiment – alles in einem und – ich verwende dieses abgedroschene Wort eigentlich nie – ein Pageturner.

nach oben




Jessica Durchlacher
Die Stimme

 


Diogenes

Um was geht es eigentlich in diesem Buch? Geht es um den gewaltbereiten Teil des Islam, der Abtrünnige verfolgt? Geht es um Frauenrechte und -bild dieser Religion? Vielleicht aber auch um das Jüdischsein in der Welt nach dem 11. September oder um die Dynamik einer Familie mit sehr eigenen Kindern? Spielt der Kampf für Gerechtigkeit und um Freiheit die größte Rolle oder geht es um die Schicksalhaftigkeit des Lebens, in dem die zu tragenden Lasten nicht gleich verteilt sind?

Zelda und Bor heiraten in New York, lange nach der Geburt ihrer Kinder. Während der jüdischen Zeremonie auf dem Dach eines Hauses sehen sie, wie die Flugzeuge in die Twin Towers fliegen und müssen mit ihren Kindern fliehen. Wieder zu Hause in den Niederlanden tritt die aus Somalia geflohene Amal in ihr Leben. Ihre überwältigende Schönheit ist trotz der Verschleierung zu erkennen und nur noch von ihrer Stimme übertroffen, die sie entdecken, als sie mit dem musikalisch hochbegabten Sohn musiziert. Amal tritt im Fernsehen beim Wettbewerb „Die Stimme“ auf und entledigt sich während des Auftritts ihres Schleiers – als Zeichen der Selbstbefreiung. Wegen dieses Aktes wird sie von vielen Seiten bedroht. Das Haus von Zelda und Bor wird zur Festung.

Bor hat einen islamkritischen Aufsatz geschrieben und avanciert zum Talkshow-Spezialisten. Er begleitet die Selbstbefreiung von Amal und organisiert die Personenschützer. Philip, Zeldas halbwüchsiger Sohn aus erster Ehe, ist auf einer anderen Lebensspur: Sein Rivale um seine Freundin wandelt sich zum besonders frommen Moslem. Ist er eine Bedrohung für Amal?

Sicher ist: Es ist ein atemberaubendes Buch voller sprachlicher Schönheit.

nach oben