claudius
"Machen Sie sich denn gar keine Sorgen?" - "Würde es denn helfen?" Mit diesem Filmzitat trifft man die Grundthese des Essays (130 Seitchen) des Journalisten der Süddeutschen Zeitung ziemlich genau. Er möchte angesichts der "Jeder-ist-seines-eigenen-Glückes-Schmied-Gesellschaft" eine Lebenshaltung aus der Schmuddelecke holen.
Diese Position hat der Fatalismus nicht ganz zu Unrecht inne: Schicksalsglaube gegen freien Willen, dieses gegensätzliche Paar zieht sich durch Philosophie und Theologie. Ist der Mensch haftbar zu machen, wenn alles Schicksal, gottgewollt ist? Nur wer sich frei entscheiden kann, kann er auch verurteilt werden. Und dann hat der Fatalismus auch geholfen, Untertanen ruhig zu halten. Selbst Hitler sah sich als Teil einer Vorsehung - kein Wunder, dass der Fatalismus eine schlechte Presse hat.
Heute gilt: optimiere dich, arbeite an dir. Das gilt für Freundschaften, Liebe, Kindererziehung. Und für den Körper. Wenn's nicht läuft, dann ist das eine dornige Chance. Was aber, wenn positives Denken nicht mehr hilft und dreckige Probleme dreckige Probleme bleiben?
Jede noch so ruhig dahinziehende Existenz hat Brüche, Spalten, die sich morgen auftun können. Ein gesunder Fatalismus hat deshalb nichts zu tun mit bequemer, zynischer oder depressiver Resignation vor den Zuständen der Welt und dem Lauf des Lebens. Mehr noch, die Schicksalsergebenheit hat eine besondere Kraft: Der Fatalismus beugt sich dem Unausweichlichen und bewahrt doch das Eigene. Er verkleinert das Übermächtige, wie es auch der Humor tut.
Letztlich bleibt ein christlicher Realismus: Gelassenheit, unveränderbare Dinge hinzunehmen, und Mut zu verändern, was zu ändern ist. Und beides zu unterscheiden. Mit Gnade und Gottvertrauen lässt es sich auf dem schwankenden Boden des Lebens aushalten.
Mehr dazu kann man hier hören und lesen bei den Kolleg*innen der Kirchensendung vom Deutschlandfunk. Ein wunderbares Interview!
Insel
Dieses Buch ist kein Ratgeber, sondern - wie der Untertitel sagt - ein Wegweiser. Es ist keine Anleitung zur Achtsamkeit, zur Meditation, zu Zen und Yoga, kein Bericht aus dem Kloster. „Wegweiser“ ist ein treffendes Wort, hat der Norweger doch 1992 ganz allein die Antarktis durchschritten. Er machte dort die Erfahrung, dass er zwar gut vorankam, er aber eigentlich immer mehr in sich selbst reiste. Und auch die Umwelt veränderte sich: was vorher weiß und flach zu sein schien, differenzierte sich in Farben und Formen des Schnees. Man muss dazu nicht an den Südpol - jeder der einmal allein eine lange Wanderung unternommen hat, weiß das.
32 kurze Antworten gibt Kagge auf die Frage, wo man im Alltag die Stille finden kann. Das kostet zuerst einmal Zeit und Energie, macht schlechte Laune. Wir versuchen Stille zu vermeiden, mit Geschäftigkeit, mit dem Smartphone, mit Geplapper. Schon im 17. Jahrhundert schrieb Blaise Pascal, dass die Schmerzen, allein zu sein, kaum auszuhalten seien. Vielleicht spricht aus dieser Erfahrung auch die Wertschätzung der Stille durch das Christentum: Gott zeigt sich nicht im Gewitter oder Sturm, sondern im Säuseln des Windes, Jesus zieht sich in die Wüste zurück, bevor er die Welt verändert.
Kagges Ideal von Stille ist sehr schlicht: einfach eine Weile ruhig im Raum sitzen. Aber auch Tätigkeiten schaffen Stille im Inneren: Holzhacken, stricken, ein Instrument spielen oder sogar abspülen. Stille ist für Kagge keine Fähigkeit, die man erst nach jahrelangem Üben erlangt und dann eigentlich Spezialisten vorbehalten bleibt, sondern etwas Alltägliches.
Und genau darauf weist das Buch hin: Schau hier hin und dahin, dort in deinem Alltag kannst du Stille finden. Und so ist das Buch auch geschrieben: einfach, aber eindringlich.
Der SPIEGEL hat den Autor interviewt - lesenswert!
Kösel
Der renommierte Altersforscher wartet mit „überraschenden Erkenntnissen über unsere längste Lebensphase“ – so der Untertitel – auf. Gar nicht überraschend ist der Spruch „Man ist so alt, wie man sich fühlt“, den ich immer mit einem inneren Stöhnen gehört habe. Neu ist allerdings, dass diese Binse wissenschaftlich belegbar ist. Menschen mit einem positiven Verhältnis zum Altern werden im Schnitt 7,3 Jahre älter. Da lohnt es sich doch, die Nase in ein Mut machendes Buch zu stecken.
Alten Menschen – so die Forschung – steht ein gut gefüllter Werkzeugkasten zur Verfügung, um mit Widrigkeiten und Anforderungen zurechtzukommen. Arthur Rubinstein z.B. glich seine träger gewordenen Finger beim Klavierspiel dadurch aus, dass er die Stellen vor den schnellen Passagen langsamer spielte, sodass die nachfolgenden vergleichsweise flott klangen. Aber es geht nicht nur um Ausgleich: im Alter gewinnt man z.B. an Welt- und Erfahrungswissen.
Da das Alter noch eine recht junge Erscheinung ist, geistern immer noch Altersstereotypen herum, die wirklich Einfluss auf das Leben haben können: man kann einen alten Menschen senil und gebrechlich reden! Umgekehrt gilt, dass das Altern im Kopf beginnt und interpretiert werden will.
Der Autor verschließt aber nicht seine Augen vor den schwierigen Entwicklungen. Unsere verlängerte Lebenserwartung hat ihren Preis, am Ende steht die Verletzlichkeit eines langen Lebens.
Es lohnt sich also, sich früh mit seinem Altern zu beschäftigen, denn die Weichen werden vorher gestellt.
Wer ein bisschen Zeit hat, kann sich hier diesen beeindruckenden Menschen im Interview ansehen.
C.H. Beck
Homo Deus - der göttliche Mensch. Das klingt wie eine ungeheure Anmaßung. Der Mensch hat sich in den letzten 150 Jahren rasant aus den Fesseln der Natur befreit, Krankheiten und Kriege haben immer weniger Bedeutung. Schon heute sterben mehr Menschen an Cola als an Cholera. Und jetzt hämmert der Homo Sapiens an die Pforte des Todes - dahinter die Unsterblichkeit, aus eigener Kraft?
Der israelische Universalhistoriker, der inzwischen zu einer viralen Medienfigur geworden ist, entwirft ein düster-optimistisches Bild der Zukunft. Das scheint zuerst ein Gegensatz zu sein. Aber man ist beim Lesen hin- und hergerissen zwischen Technikbegeisterung und abgrundtiefem Schrecken.
Der Mensch hat mit Wissenschaft und Technik den sicheren Hafen religiöser Sinnstiftung gegen die Macht eingetauscht, sein Schicksal selbst zu lenken. Mehr noch: Hat der alte biblische Gott es gerade noch vermocht, organisches Leben zu schaffen, ist der Homo Deus jetzt dabei, nicht-organische Wesen zu kreieren, der künstlichen Intelligenz sei Dank. War Gott noch mit Giraffen und Gemüse beschäftigt, werden wir jetzt Gehirne und Geist gestalten.
Für die reiche Elite zeichnet sich eine gute Zukunft ab. Intelligente Computersysteme werden dem Menschen immer mehr Aufgaben abnehmen, Defekte im Körper reparieren oder ersetzen. Aber es wird eine neue Klasse geschaffen werden, eine Klasse der Nutzlosen, die bestenfalls mit virtuellen Welten, in die sie eintauchen können, ruhiggestellt werden können. Für die Reichen wird organisches Leben mit künstlicher Intelligenz verschmolzen und so die Grenze des Todes überschritten werden. Der Mensch hat ein Recht auf Leben und der Tod verstößt halt dagegen.
Yuval Noah Harari nimmt einen mit auf atemberaubenden Ritte durch wissenschaftliche Disziplinen und wagt den Blick in eine nicht allzu ferne Zukunft. Doch er will nicht prophezeien, sondern provozieren. Und er hofft darauf, dass die Zukunft, die er sieht, nicht eintreffen wird.
Ausführliche Einschätzungen und Einblicke gibt es hier und hier. Sehenswert ist auch ein Beitrag in 3SAT.
Vandenhoeck & Ruprecht
Der Schweizer Philosoph und Medienkundler erzählt, wie digitale Kommunikation das Leben, die Beziehungen und das Lernen von Jugendlichen verändert. Diese Tatsache ist unbestritten, wie das aber zu deuten ist, da gehen die Meinungen auseinander. Die einen sehen darin den Untergang des Abendlandes, die anderen sehen hier eine nie dagewesene Chance, dass Jugendliche abseits von etablierten, schwerfälligen Strukturen Mittel und Wege finden, sich zu bilden und zu informieren.
Seine Haltung ist kritisch zugewandt: Anstatt vorschnell von „Sucht“ zu sprechen (ein Vorwurf, den sich auch der Film, das Fernsehen und selbst das Buch anhören mussten!), versucht er die Praktiken der Jugendlichen aus sich heraus zu verstehen, ordnet sie in ihren Entwicklungsprozess ein, weist auf Gefahren und ökonomische Strukturen hin und eröffnet dann einen pädagogischen Zugang.
Das Beste an diesem Buch ist, das man die Kompetenz erwirbt, Schüler*innen zum Gespräch über ihre - oft fremden - Medienpraktiken einzuladen, anstatt nur disziplinarisch oder klagend zu reagieren.
Und hier kann man den Autor in klarer und verständlicher Weise sprechen hören und sehen!
Martin Altmeyers Buch „Auf der Suche nach der Resonanz“ ist ein ähnlich wegweisendes Buch. Hier wird von der Position der Psychoanalyse auf das Phänomen der sozialen Medien geblickt. Mehr dazu auf der Homepage des Verlages und in einer interessanten Besprechung bei den katholischen Kolleg*innen.
Kohlhammer
Pfarrer*innen und Reli-Lehrer*innen gehören sicher zu denen, die in der Gefahr arbeiten und leben, beruflich auszubrennen. Der Unterschied zu anderen Berufsgruppen ist der besondere Zugang zu Glaube und Spiritualität. Liegt hier ein Mittel der Vorbeugung?
Die Autorin beschreibt zunächst die Belastungsfaktoren, die vom Stress zum Burnout führen können. Wenn man dies liest, kommt es unweigerlich zu Aha-Momenten: die eigene Schule oder Gemeinde taucht vor den Augen auf. Die Autorin zeigt auch die berufsspezifischen inneren Einstellungen auf - auch hier lauert die Burnout-Gefahr: hohe Ziele, mangelnde Belohnung, Fairness und Gemeinschaft, fehlende Kontrolle über Arbeitsabläufe.
Was in der Forschung zwar oft diagnostiziert, aber offensichtlich nicht weiterverfolgt wird, ist der Sinnverlust in Leben und Arbeit. Hier kommt Religion ins Spiel, die sowohl heilend und vorbeugend (Gelassenheit und moralische Identifikation) als auch verschärfend (protestantische Arbeitsethik, Tüchtigkeit, Verantwortlichkeit für das eigene Schicksal) wirken kann.
Supervision für Pfarrerinnen und Reli-Lehrer kann eine besondere Ressource anzapfen: durch eine veränderte religiöse Selbstdeutung kann Burnout überwunden werden. Und wenn das klappt, dann kann dieser veränderte und verändernde religiöse Zugang auch dieser Erkrankung vorbeugen!
Hier noch eine Einschätzung von Babett Flügger vom rpi Loccum.
Fischer TB
Sind Träume ein nächtliches Elektronengewitter, dem wir am Morgen einen Sinn zu verleihen versuchen, weil wir ohne Sinn nicht leben können. So jedenfalls eine alte Theorie der Traumforschung.
Beileibe nicht! Das erzählt der Wissenschaftsautor Stefan Klein. Die Traumwelt ist ebenso real wie unsere äußere Wirklichkeit, sie ist unsere innere Wirklichkeit, in der wir ein Drittel unseres Lebens verbringen. Träume bestehen aus Erinnerungen, Emotionen und Bildern, neu und fantastisch zusammengewürfelt. Und hier übernehmen die Emotionen die Leitung: Sie „suchen sich“ die passenden Bilder aus unserem Gedächtnis – eine revolutionäre Erkenntnis.
In der Traumwelt sind wir keine passiven Zuschauer, sondern Akteure. Kurz gesagt: Wir haben ein Ich. Aber wir sind “verwirrte Denker“: Im Traum herrscht zwar eine Logik, ihr Faden entgleitet uns aber immer.
Und wir müssen umdenken: Unser Bewusstsein ist nicht immer nur ein Funktion des Wachseins. Träumen hat so nicht nur die Funktion, Erlebtes zu sortieren und in den Wissensspeicher zu befördern. Wir lernen und üben Fähigkeiten, verarbeiten und heilen schlimme Erlebnisse und stärken unsere Kreativität.
Es ist ein faszinierendes Buch, denn man liest nicht über eine Sache, sondern über sich selbst. Selten hat ein Fachbuch diesen Titel so elegant überschritten: Die Sache bin ich!
Was für's Auge: Das EKHN-Multimedia-Special aus dem Medienhaus und der Autor höchstselbst im Video.
Droemer-TB
Wer kennt das nicht: Ein Fußballer setzt zur Blutgrätsche an und hebt noch auf dem Weg zur gegnerischen Kniescheibe die Arme. Ich war’s nicht! Kaum jemand will sich heute mit den Lasten von Schuldgefühlen und echter Schuld auseinandersetzen. Bonelli – Neurowissenschaftler, Psychiater und Psychotherapeut mit einem gesunden Zugang zum christlichen Glauben – öffnet seine Praxistür und lässt uns auf seine Couch schauen. Dort wird nicht mehr Sexualität, sondern Schuld verdrängt. Ehepartner, Eltern, Lehrer – alle sollen schuld sein, damit wir uns nicht mehr schuldig fühlen müssen.
Perfektionismus und Ichhaftigkeit sind zwei der Mechanismen, die Schuldannahme verhindern. Dazu eine Prise Wehleidigkeit, ein wenig Selbstbetrug und Portion Lebenslügen – damit kann man ein makelloses Unschuldslamm artgerecht aufziehen. Das ganze fing schon mit Adam an: Schuld war die Frau, letztlich Gott, denn der hatte ja Eva geschaffen. Den Herrn beeindruckte bekannter Weise die Schuldverschiebung nicht. Schuld ist theologisch gesprochen kein Gefühl, sondern gehört zur Realität des Menschen.
Bonelli führt durch eine Vielzahl an Zugängen zum Thema Schuld. Besonders manche Vertreter der Neurowissenschaften blockieren aber eben diesen Zugang: Sie bestreiten, dass der Mensch überhaupt so frei ist, dass er schuldig werden kann. So eingeschränkt unsere Freiheit, und somit auch unsere Verantwortung sein mag, es ändert nichts an der Tatsache, dass das Eingestehen der eigenen Schuld die eigenen Freiheit weitet und uns wieder handeln lässt.
Kurz gesagt: Schweres Thema, leichte Schreibe – selten hat mir ein Sachbuch mehr Lesefreude bereitet.
Bonelli ist auch multimedial unterwegs. Seine Vorträge sind als Videos im Netz zu finden und durchaus unterhaltsam. Wer also mal keine Lust auf Lesen hat, klickt hier
Herder
Der Schweizer Theologe und geistliche Begleiter benutzt ein ungewöhnliches Trägermedium, um Menschen innerlich zu stärken: Filme. Er wählt Szenen aus, in denen Sehnsüchte, Ängste und Hoffnungen in Wort und Bild verdichtet sind, Szenen, die Filmliebhaber sofort vor Augen haben, wenn er sie beschreibt. Sie dienen dazu, die eigene Spiritualität zu entwickeln: „Je mehr ich in mir ruhe, desto mehr wächst mir die Hoffnung, Unmögliches mit anderen verwirklichen zu können.“ Viele der Filme sind bekannt, jeder wird den Tod Winnetous vor Augen haben. Dies weist für Stutz eine Spur zu eine Lebensgestaltung, in der die Kraft der Freundschaft zu erfahren ist. Meistens ist es aber nicht so plakativ. So entdeckt er in den Filmen Kieslowskis (Zyklus „Drei Farben“) den Grundton, bei sich zu bleiben, einfach sein zu dürfen. Wer kein Cineast ist, für den kann dieses Buch ein Führer für tiefgehende Filme sein.
dtv
Es sind zwei bizarre Linien, die sich auf der Landkarte bewegen – zuerst getrennt, dann sich näherkommend,schlussendlich sich kreuzend. Lebenslinien zweier Menschen im Gegensatz, der eine Rudolf Höß, Kommandant von Auschwitz, der andere Hanns Alexander, ein deutscher Jude, der als britischer Captain Höß nach dem Krieg aufspürte.
Der Autor Harding, Großneffe des Nazijägers, springt immer wieder von Hanns zu Rudolf – das familiäre „du“ ist verstörend, aber nicht falsch: Er taucht tief in die Intimität der beiden ein, beschreibt, wieso der Sohn eines berühmten Berliner Arztes aus dem englischen Exil heraus unbedingt die Schlächter der Juden aufspüren will und wie der Familienmensch Höß kalten Blutes das Vernichtungsprogramm Hitlers organisierte.
Von Hanns zu Rudolf in beklemmenden Sprüngen: Als Hanns 1917 geboren wurde, kämpfte Rudolf für den Kaiser in Palästina. Als Hanns berühmten Patienten seines Vaters wie Albert Einstein oder Richard Strauss einen Streich spielte, saß Rudolf als Mitglied eines nationalistischen Freikorps in Haft wegen Mordes. Als Rudolf im KZ Dachau in der Hierarchie aufstieg, floh Hanns aus Nazi-Deutschland. Die Linien treffen sich in Flensburg, als Hanns Rudolf eine Pistole in den Mund schiebt. Eigentlich mache ich einen Bogen um historische Bücher, Biografien sind auch nicht mein Ding, aber Harding gelingt es, einem geschichtlichen Gerippe Fleisch wachsen zu lassen – im umfassenden Sinne fesselnd und ein Pageturner.
Brunnen
„Mit 40 vor die Rinder“ war einst ein dummer Spruch. Ärzte müssen angesichts der medizinischen Möglichkeiten, Leben auf Gedeih und Verderb zu verlängern, Kriterien der Normalität entwickeln, was wir Menschen an medizinischer Grundversorgung schulden, und dem, was abhängig gemacht werden muss von Alter, Heilungsaussicht und persönlichen Umständen.
Leiden kann nicht ins Bausch und Bogen als lebensunwert qualifiziert werden. Das Buch will die Hinterbühnen der Debatten um Sterbebegleitung, Sterbehilfe und Tod ausleuchten: Was ist denn „gutes Sterben“, der schnelle Tod oder die ars moriendi, die Kunst zu sterben? Der Tod ist mehr als das Ende des Lebens, hat eine geistliche Dimension. Müssen Menschen am Ende noch zu Managern ihres Todes werden, die im Sterben noch beweisen müssen, dass sie das Leben unter Kontrolle haben? Ein schmales Buch von gut 100 Seiten, das den Atem anhalten lässt.
Neukirchener Theologie
Eine zeitgemäße Religionspädagogik könne das Thema Glück nicht ignorieren, Die Sehnsucht nach Glück böte sogar eine religionspädagogische Chance – so der Ausgangspunkt. Zahl- und kenntnisreiche AutorInnen beleuchten somit das Thema von allen theologischen Seiten: Macht Glaube glücklich? Glück als Erziehungsziel? Lebenskunst und christliche Tradition, Sein und Werden usw. Sehr spät kommt ein Buch mit diesem Thema, denn schon 2009 begann ein unglaublicher Medienhype. Es drängt sich der Gedanke auf, dass Theologie und Religionspädagogik auf einen Zug aufzuspringen versucht, der schon längst Meilen weiter ist. Aber vielleicht lohnt sich der Sprint, den immer noch herrscht die Maxime, dass derjenige, der nicht glücklich ist, selbst Schuld an seinem traurigen Schicksal trägt. Immer noch soll jeder seines Glückes Schmied sein – ein unchristlicher Zynismus. Das Buch geht einen Mittelweg, indem es das Glück pädagogisch ist Lebenskunst übersetzt. Kein ganz falscher Ansatz, dennoch fehlt an vielen Stellen das kritische Moment, der Widerspruch, die Zähne. Dennoch ist es ein guter Ansatz, sich mit dem gesellschaftlichen Phänomen der Selbsterlösung durch Glück auseinanderzusetzen.
C.H. Beck
Neudeck war mit seiner Organisation Grünhelme e.V. bis zum Mai 2013 im Norden Syriens tätig. In einem Tagebuch berichtet er von diesem Einsatz, er wollte die Revolution humanitär begleiten, also Krankhäuser und Schulen, die von Assad zerstört worden waren, wieder aufbauen. Herausgekommen ist ein ehrlicher Bericht, in dem zu lesen ist, wie der Optimismus dahinschmolz. Er hat selbst erfahren, wie die Opposition gespalten wurde durch oft ausländische Dschihadisten und Islamisten. Das setzt ein fatales Zeichen: Manche Anhänger der Revolution sehen in Assad wieder denjenigen, der die religiösen Differenzen ausgleichen und den Krieg gegen den religiösen Extremismus gewinnen könne. Daher spielt Assad die nationale Karte, denn die Einheit der Opposition rückt immer mehr in weite Ferne. Dennoch ist Neudeck davon überzeugt: Es gibt ein Leben nach Assad, nicht zuletzt, weil er einen radikal christlichen Stachel spürt: Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter.
Knaur TB
Philipp Riederle, geboren 1994, erklärt als Podcaster und Unternehmensberater in Sachen digitaler Jugendkultur der verständnislosen Erwachsenenwelt WhatsApp, Twitter, Facebook und Youporn, mehr noch: „Wir sind nicht schnell. Wir sind schon da und überall gleichzeitig.“ Hoch informativ ist das Buch, wenn man wissen will, wie die Jugendlichen damit leben, total vernetzt zu sein – Riederle beschreibt das Spinnennetz digitaler Existenzen. Radio, Schule, Politik, Werbung, Medien – alles hat ausgedient und geht digital anders, schneller, besser. „Beherrschung“ sei nach Apple obsolet geworden. Erwägenswerte Gedanke, sicherlich. Ohne die gute alte Zeit zu bemühen, muss man aber zwei denkerische Fehler konstatieren: Zum einen beschreibt er ein bestimmtes Milieu der Jugendkultur, das sich aus der guten alten Bildungsbürgerschicht speist, einer Quelle also, die laut Riederle bald versiegen wird. Das digitale Proletariat, das tumb nach dem Motto verfährt „Ich kommuniziere, also bin ich!“, das auf Facebook alles preisgibt, das mit WhatsApp den Wortschatz auf unter 400 drückt, ist nicht im Blickfeld.
Zum anderen geht er davon aus, dass dieses doch jugendspezifische Verhalten nahezu unverändert in die Erwachsenenwelt transportiert werden wird. Er macht Jugendliche zu Erwachsenen, deren Strukturen gefestigt und schwer veränderbar sind. Das ist aber nicht der Fall. Meine Nietenjacke hängt nicht einmal mehr im Keller, ich arbeite an vier Rechnern plus Smartphone, spreche mich mit meiner Kollegin via WhatsApp ab und heiße auch nicht „Erwin“, wie der Protagonist der Erwachsenengeneration bei Riederle bezeichnenderweise genannt wird. Trotzdem eine Leseempfehlung: Es ist ein spannungsreiches Eintauchen in die Piratenwelt.
Oekom
Arbeitsverdichtung, Planerfüllung, Familienmanagement, Stundenplan, To-do-Listen – seit Mitte der 90er hat sich Taktung unseres Lebens immer mehr verkürzt. Immer schneller, immer mehr. Vom Grundschüler bis zur Rentnerin wird die Zeit als Last empfunden. Der Philosoph und Wirtschaftspädagoge Geißler setzt andere Akzente: Er zeigt, warum wir Langsamkeit, Wiederholung, Warten, Pausen und sogar Langeweile neu schätzen lernen sollten.
Es ist nicht das soundsovielte Zeitmanagement-Buch, sondern Geißler will uns - oft sehr poetisch, lächelnd spitzfindig und breit belesen - eine andere Sicht auf „die Freundin Zeit“ eröffnen. Dazu gehören versöhnte, schöpferische Widersprüche von Beschleunigung und Stillstand, Mobilität und Sesshaftigkeit, Kurzfristigkeit und Langfristigkeit. Ein Beispiel hat er von Richard Strauß: Beim Walzer möge der Schwung aus einer ruhigen Bewegung kommen. Denn, so seine Erkenntnis, es sind die Zeiten des „Dazwischen“, die Dinge und Abläufe auf Abstand bringen und Freiräume schaffen.
Das Buch liest sich wie ein guter Wein unter italienischer Sonne. Und deshalb möge man nicht den Versuch machen, Wichtiges zu unterstreichen. Aber viele Sätze eignen sich dazu, als Erinnerung auf einem Zettel am Kühlschrank zu kleben. Zum Beispiel dieser: Alle Tage sind gleich lang, aber unterschiedlich breit.
dtv
Ein falsches Wort von einem Kollegen – die einen grämen sich Tage, die anderen schütteln es ab. Bankrott – der eine Unternehmer sprüht sofort wieder vor Ideen, der andere versinkt. Das Ende der großen Liebe – der eine landet im Suff, der andere findet schnell wieder Lebensmut. Das waren die Beobachtungen, die zur Resilienzforschung führten. Wie ist ein Mensch gestrickt, dass er besser Schicksalsschläge und alltäglichen Stress wegsteckt als andere? Das lenkte den Blick der Psychologie weg von den Ursachen hin zu den Ressourcen. Es gibt ein Rüstzeug, dass Menschen widerstandsfähiger macht, ein Rüstzeug, das Beraterinnen und Pädagogen, die die Blickrichtung vom Problem zur Stärke gewechselt haben, wachrufen können. Die Autorin vermittelt diese neue Perspektive durch zahlreiche Geschichten, Kurzfassungen von Studien und Tipps zum Handeln. Wertvoll nicht nur für die berufliche Praxis sondern auch für das persönliche Leben.